Pushen und Pullen von analogem Film: Was ist das und was bringt mir dies?
Der Begriff des „Pushens“ übt offenbar auf viele Freunde der analogen Fotografie eine gewisse Faszination aus. Er wird jedoch häufig überschätzt: Im Prinzip wird der Film dadurch absichtlich unterbelichtet und dessen nun abgeschnittene Tonwerte im Anschluss künstlich in ihrer Dichte erhöht. Das sogenannte „Pullen“ ist das Gegenteil und diese Methode wird weniger besprochen. Was „Push“ und „Pull“ bringen und was nicht, dies soll in diesem Beitrag näher erklärt werden.
In diesem Beitrag soll sich als erstes dem sogenannten Pushen gewidmet werden:
Hier wird knapper (kürzer) belichtet, als es der Film eigentlich mag. Im Anschluss wird dieser einfach etwas länger entwickelt. In der Praxis stellt man hierzu einfach die ISO-ASA-Einstellung an der Kamera auf einen höheren Wert.
Beim Fotografieren hat dies den Vorteil, dass man längere Belichtungszeiten vermeidet bzw. dann ggf. auf ein Stativ verzichten kann. Durch die nachträgliche verlängerte Entwicklung werden die (zuvor schwächer aufgezeichneten) Tonwerte wieder angehoben: Es wird „gepusht“. Die Nachteile sind abgesoffene Schatten, ausgebrannte Lichter und ein stark betontes Korn. Manche Freunde der analogen Fotografie suchen jedoch genau diesen „Look“. Etwas weiter unten soll sich dem Gegenteil zugewendet werden: Dem Pullen. Hierdurch erhält man maximale Zeichnung ausgehend von den dunkelsten Schatten bis hin zu den hellsten Lichtern und zwar in feinen Tonwertabstufungen. Aber der Reihe nach:
Pushentwicklung ist ein Relikt aus alter Zeit
Zunächst soll jedoch gleich eine etwas provokante Behauptung aufgestellt werden: Wenn Sie Ihre Filmnegative ohnehin durch einen Computer schicken (also „hybrid“ arbeiten bzw. scannen), dann brauchen Sie den Film nicht zu „pushen“ bzw. irgendwie anders entwickeln. Denn: Das Anheben der Mitteltöne und hellsten Töne (die ja durch die vorherige zu knappe Belichtung „gelitten“ haben) kann ein Computerprogramm meiner Erfahrung nach besser als eine chemische Prozedur. Entwickeln Sie Ihren Film einfach ganz normal, wenn Sie mit guten Bildbearbeitungsprogrammen wie z. B. Photoshop, Lightroom oder Gimp Erfahrung haben. Denn mit einer Bildbearbeitung am Computer kann man die Tonwerte sehr gezielt und nach Sicht nach oben drücken, will sagen: pushen – nämlich über die Tonwertkorrektur bzw. über die Gradationskurve. Ausnahme: Zweibadentwickler. Diese S/W-Chemie deckelt bei einer verlängerten Entwicklung die Lichter und lässt sie somit nicht „ausfressen“. Viele Negativentwickler (wie z. B. das gerne benutzte „Rodinal“) sind jedoch für das Pushen von Film eher ungeeignet, da hier die Lichter schnell „aufsteilen“.
Nur wenn Sie nicht über derlei (Computer-) Kenntnisse verfügen und natürlich wenn Sie S/W-Fotografien im Fotolabor auf echtes Fotopapier belichten, sollte über eine etwas verlängerte Pushentwicklung von unterbelichteten Filmen nachgedacht werden. Zwar kann man die Tonwerte durch eine härtere Papiergradation anheben. Doch diese endet viel zu oft bei der „Nummer 5“, was nicht selten noch zu weich ist.
In diesem Zusammenhang sei noch eine andere Behauptung in den Raum gestellt: Wenn Sie eine analoge Kamera mit „simplem“ eingebauten Belichtungsmesser nutzen, kann es durchaus sein, dass einige Bilder ohnehin / aus Versehen unterbelichtet sind, denn solche älteren interne Belichtungsmesser lassen sich gerne von z. B. weißen Wänden oder hellen, bedeckten Himmeln täuschen. In der nachträglichen (automatischen) Bildbearbeitung (ggf. durch einen Dienstleister) werden die Tonwerte dann wieder „angehoben“, also gepusht. Aus diesem Grund (Belichtungsfehler) führt wohl auch manch Klage über gewisse Filme, die angeblich ein grobes Korn und einen „schmutzigen“ Look liefern. Oder das Schimpfen darüber, dass ein Scanner angeblich das Filmkorn ungünstig betone. Diese Unansehnlichkeiten rühren jedoch nicht selten von einer (unbewussten) Unterbelichtung und nachträglichen (meist auto-digitalen) „Rettung“.
Die Pushentwicklung ist also insbesondere für alle interessant, deren analogen Filme nie einen Computer sehen werden (und natürlich wenig Licht zur Verfügung haben). Hier sollte dann tatsächlich chemisch bereits am Negativ angesetzt werden:
Die tatsächliche Filmempfindlichkeit
Es verhält sich folgendermaßen: Ein fotografischer Film besitzt eine feste Lichtempfindlichkeit (ASA = ISO-Wert). Diesen Wert selbst kann man nicht ändern. Die tatsächliche Empfindlichkeit des Aufnahmemediums (Film) lässt sich in der analogen Fotografie nicht so ohne Weiteres verformen (im Gegensatz zu Digitalkameras). Beim Verändern der ISO-Einstellung an der Kamera bescheißt man lediglich den internen Belichtungsmesser.
So kann man die ISO-Einstellung bei einer analogen Kamera durchaus z. B. auf „1600“ stellen, obwohl der eingelegte Film nur 400 ASA hat.
Das Fell eines schwarzen Hasen kann aber nur dann mit seiner gesamten Struktur fotografiert (d. h. abgebildet) werden, wenn man genügend lange belichtet. Dieses „genügend“ bezieht sich auf die vom Filmhersteller angegebene ASA-Zahl bzw. auf den ISO-Wert (100 ASA sind z. B. mittelempfindlich) und darauf, dass man jenen Wert der Kamera bzw. dem Belichtungsmesser auch mitteilen sollte.
„Gaukelt“ man hier höhere Werte vor, dann wird der arme Hase später lediglich als schwarze, strukturlose Silhouette auf dem Foto wieder gegeben. Dies lässt sich auch nicht durch eine im Anschluss längere Entwicklungszeit vermeiden, denn wo keine Lichtreaktion auf dem Film statt gefunden hat, kann im Nachhinein auch keine „Zeichnung“ mehr hervor gezaubert werden!
Solche visuellen Eigenschaften wie es das obige Foto besitzt, weisen viele „gepushte“ Filme auf: Dunkle Bildbereiche (die Schatten) sind homogen schwarz. Die hellen Bildbereiche (die Lichter) drohen im Positiv auszufressen bzw. erscheinen nicht selten überdurchschnittlich „grell“. Für manche Motive ist dies durchaus förderlich, für andere jedoch weniger.
- Je höher der an der Kamera (am Belichtungsmesser) eingestellte ISO-Wert, desto knapper wird belichtet (für Push; Schattenzeichnung geht verloren). Denn der Belichtungsmesser denkt ja nun, es wäre tatsächlich ein höher empfindlicher Film geladen.
- Je geringer der eingestellte Wert, desto reichhaltiger wird die Kamera adäquat belichten (für Pull; Schattenzeichnung wird gewonnen)
Diese Verhältnismäßigkeiten sorgen nicht selten für Verwirrung.
Die Farbe Schwarz wurde im Beispiel nicht willkürlich ausgewählt – Tatsächlich ist dies der kritische Bereich beim Unterbelichten: Ein grauer zu knapp belichteter Hase kann durch eine verlängerte Entwicklung durchaus wieder auf sein Grau gepusht werden – daher auch der englische Begriff: to push = drücken. Schwarz reflektiert aber so wenig Licht, dass hier tatsächlich genügend lange belichtet werden müsste, um noch „Zeichnung“ abbilden zu können.
Die Frage ist allerdings: Ist jener schwarze Hase mit seinem schimmernden Fell überhaupt relevant für meine Bildvorstellung?
Dem Autor sind jene mannigfaltig abgestuften Tonwerte bei den meisten seiner Fotografien sehr wichtig. Er käme kaum auf die Idee, seine Filme zu pushen bzw. absichtlich unter zu belichten, dass diese am Ende noch aussehen (mit Verlaub) wie Blätter aus einem Fotokopierer. Doch betrachten Sie einmal die S/W-Fotografien von diesem Fotografen. Hier besitzt das homogene Schwarz und das oft starke Korn (beides Indizien für das Pushen) eine ganz besondere Wirkung. Bei solchen Motiven passt ein solcher Look durchaus.
Insbesondere bei Gelegenheiten, bei denen ein unzureichend helles Umgebungslicht vorherrscht, bietet sich das Pushen an – Wenn man dann nämlich auf Belichtungszeiten kommt (z. B. 1/30 Sekunde), bei denen man eigentlich ein Stativ nutzen müsste. Indem man nun aber den ASA-Wert-Regler der Kamera von z. B. 100 auf 400 dreht, könnte man bei diesem Beispiel wieder mit der 1/125 Sekunde aus der Hand fotografieren.
Abgesoffene Schatten und ausgebrannte Lichter können freilich auch von einem „normal“ belichteten und entwickelten Negativ später im Positivprozess (Fotolabor oder Bildbearbeitung) erreicht werden – wenn gewünscht.
Die Entwicklungszeit erhöhen
Wenn man einen Film nun absichtlich durchgehend unterbelichtet hat, dann sollte man ihn im Anschluss länger entwickeln. Hier passiert dann folgendes:
Durch die längere Entwicklung des (unterbelichteten) Filmes werden:
- die Schattenbereiche (dunkle Bildbereiche) kaum verbessert (der schwarze Hase bleibt eine strukturlose Silhouette),
- die zu dunklen Mitteltöne rutschen höher und werden wieder so hell, wie sie eigentlich sein sollten,
- die Lichter (hellste Bildbereiche) rutschen ebenfalls höher, jedoch oftmals über das Ziel hinaus: Sie fressen oft aus, sie werden im Positiv nicht selten zu grell abgebildet.
- Das Korn des Films wird betont bzw. deutlicher sichtbar.
Diesen „Look“ muss man mögen. Bei manchen Gelegenheiten (dunkles Licht, kein Stativ, kein Blitz) bleibt einem aber manchmal auch gar nichts anderes übrig. Bei manchen Sujets (z. B. Personen-Milieu-Fotografie) ist es auch völlig egal, ob irgend etwas „ausgefranzt“ oder „abgesoffen“ ist, da die Motive selbst einfach stark genug sind.
Pushen um so und so viele Blenden
Vielleicht haben Sie schon einmal so etwas gelesen: »Der Film ist +2 gepusht.« Das bedeutet zunächst: Der Film wurde um 2 Blenden kürzer belichtet. So eine Angabe (mit „Blende“) ist nicht selten verwirrend!
An der Blende am Objektiv der Kamera wird hier nämlich in der Praxis nichts geändert. Auch an der Belichtungszeit selbst wird in der geläufigen Praxis händisch nichts geändert (sie steht auf Automatik). Geändert wird hier die ISO-Wert-Einstellung, welche bei analogen Kameras den (internen) Belichtungsmesser kalibriert:
Statt z. B. 100 (Normempfindlichkeit des Filmes [z. B. Agfa APX 100]) wird dieser auf 400 eingestellt (100 [+0] / 200 [+1] / 400 [+2]). Oder: statt 400 (Normempfindlichkeit des Filmes [z. B. Ilford HP5]) wird dieser auf 1600 eingestellt (400 [+0] / 800 [+1] / 1600 [+2]). Hier findet also immer eine jeweilige Dopplung statt: Und diese bewirkt das Selbe, was man beim Schließen der fotografischen Iris-Blende je erreichen würde: Der Film bekommt einfach weniger Licht (als die Normempfindlichkeit benötigt).
Und nun muss länger entwickelt werden:
Verlängern der Entwicklungszeit
Hat man seinen Film verkürzt belichtet, dann sollte dieser im Anschluss verlängert entwickelt werden. Erst dadurch ist das eigentliche Pushen abgeschlossen und erst dadurch „wandern“ Mitteltöne und Lichter auf einer Tonwertskala wieder „nach oben“:
- Bei einer verkürzten Belichtung um eine Blende (Push +1; Verdoppelung des ISO-Wertes [z. B. von regulär 400 ASA auf 800 ASA]) kann man die reguläre Entwicklungszeit des Filmes mit 1,3 multiplizieren.
- Bei einer noch mehr verkürzten Belichtung um zwei Blenden (Push +2; Vervierfachung des regulären ISO-Wertes [z. B. von 400 auf 1600 ASA]) kann man die reguläre Entwicklungszeit mit 1,32 multiplizieren.
- Dies könnte man durchaus noch weiter führen. Spätestens hier sollte man sich bezüglich der entsprechenden Entwicklungszeiten spezieller informieren.
Die Entwicklung normal beibehalten oder nur einzelne Bilder des Filmes unterbelichten
Es ist durchaus möglich, nur einzelne Fotografien eines Filmes zu „pushen“.
Zur Erinnerung: beim Pushen wird das Bild zunächst absichtlich unterbelichtet. Später wird länger entwickelt, um die Mitteltöne und Lichter wieder in ihren „normalen“ Bereich zu drücken. Die Schattenzeichnung ist eh dahin. Das muss man akzeptieren.
Doch diese durch eine „forcierte“ Entwicklung bedingte Kontrastregulierung können Sie später auch mit einer härteren Gradation im eignen S/W-Fotolabor vornehmen, wenn Sie einzelne Papierabzüge selbst anfertigen. Und wenn Sie Ihre Negative einscannen bzw. hybrid arbeiten, dann können Sie mit einer Bildbearbeitung besser „pushen“ (wie anfangs bereits erwähnt). Dies ist dem längerem Entwickeln meiner Erfahrung nach vorzuziehen, denn mit einem Bildbearbeitungsprogramm wie „Photoshop“, „Gimp“ oder „Adobe Lightroom“ können Sie sehr genau von jedem Bild separat die einzelnen Tonwertbereiche variieren bzw. anpassen – viel besser als bei einer einheitlichen chemischen Korrektur (verlängerte Filmentwicklung), da hierbei die Lichter geschont werden können.
Wenn man seine Negative selbst vergrößert (erstellen von Handabzügen), ist eine verlängerte Entwicklung dennoch zu empfehlen, da die härteste Papiergradation von „5“ oftmals noch zu „weich“ sein kann, um die Mitteltöne genügend nach oben zu „pushen“. Mit einem Computer ist dies jedoch kein Problem – Vorausgesetzt natürlich, Sie wissen, wie man in einer Bildbearbeitung die sogenannte Gradationskurve verändern kann (dies ist freilich auch eine Wissenschaft für sich).
Und daher könnten Sie innerhalb eines „normal“ belichteten (und später normal zu entwickelnden) Filmes einzelne Fotos im Notfall auch bewusst unterbelichten (die ISO-Einstellung verändern). Wahrscheinlich kommt dies (ungenaue Belichtungsmessungen) auf natürlichem Wege ohnehin manchmal vor, wenn Sie einen eher simplen eingebauten Belichtungsmesser in der Kamera nutzen und dieser viel bewölkten Himmel oder weiße Wände sieht.
Zusammenfassung Pushen
Wenn Sie an einer analogen Kamera die ISO-Einstellung auf einen höheren Wert einstellen als die eigentliche Lichtempfindlichkeit des Filmes, dann wird der integrierte Belichtungsmesser zu knappe d. h. zu kurze Belichtungszeiten „berechnen“ bzw. an die Kamera übergeben.
Dies ergibt einen Sinn, wenn man bei zu dunklem Licht noch „aus der Hand“ (ohne Stativ) fotografieren möchte. Da durch eine solche Unterbelichtung jedoch sämtliche Tonwerte auf dem Film nach „unten rutschen“ (dunkler werden) kann z. B. im Anschluss einfach länger entwickelt werden und diesen Vorgang nennt man dann auch „Pushen“. Hierdurch gelangen zumindest die mittleren Tonwerte wieder zu ihrer „normalen“ Helligkeit.
Die dunkelsten Tonwerte sind dabei, was ihre Detailzeichnung anbelangt, nicht selten ohne Zeichnung bzw. im Positiv einfach schwarz. Die hellsten Tonwerte werden dann oftmals zu grell wiedergegeben. Das fotografische Korn wird durch eine Push-Entwicklung betont. Insgesamt ergibt sich ein fotografischer Look, der für einige Motive durchaus zuträglich ist, für andere jedoch nicht. Dies ist auch eine Sache des Geschmacks.
Und nun soll sich dem Gegenteil gewidmet werden – dem Pullen:
Belichte auf die Schatten, entwickle nach den Lichtern
Ein Ausschnitt aus dem Buch „Meine Erfahrungen Mit Der Leica“ von Paul Wolff aus dem Jahr 1934.
Was soll dies für ein altkluger Spruch sein? Wenn man noch am Anfang dieses Jahrtausends eine solide Ausbildung zum Fotografen bekommen hat, dann wird einem dieser Satz nicht fremd sein. Er besagt:
Und mit dem letzten Punkt ist das Pullen gemeint (englisch für „ziehen“): »Ziehe die Lichter nach unten.«
Der Film mit diesem Motiv wurde (um bei dieser Sprache zu bleiben) gepullt: Es wurde – mit einer verlängerten Belichtungszeit – so großzügig belichtet, dass (trotz Gegenlicht) die Schatten unten in den gefrorenen Pflanzen ihre Durchzeichnung erhielten.
Anschließend wurde dieser S/W-Film aber relativ kurz entwickelt, damit die hellen Lichter (der Himmel bzw. das Gegenlicht) auf der Tonwertskala nicht über den kopierbaren Bereich hinaus schießen konnten: Auch sie besitzen Zeichnung! Diese stark gedeckten Bereiche auf dem Negativ wurden in ihrer Deckung also „herunter gezogen“ – gepullt. Hätte man diese jedoch beim Entwickeln gepusht, dann wäre hier jegliche zarte Grauabstufung dahin. Hier wurde ein Agfa APX 100 verwendet (entwickelt in D76). So ein mittelempfindlicher S/W-Film besitzt ausreichend Reserven für die Lichterzeichnung (man kann ihm gut Licht geben).
Hinweis: das obige Foto ist ein Scan vom Handabzug aus dem eigenen Fotolabor. Hier wurde der Himmel „nachbelichtet“, damit die gesamte Zeichnung darin sichtbar werden konnte. So ein Foto direkt „aus der Kamera“ ist nicht möglich. Demonstriert werden soll vielmehr das Potential, welches durch das Pullen möglich ist: Der Film konnte Grau-Abstufungen bis hinein ins Gegenlicht locker speichern. Das ist schon sehr ordentlich und so manche Digitalkamera versagt bei einer solchen Lichtsituation.
Stellen Sie sich einen Negativfilm wie einen Schwamm vor: Er ist in der Lage eine große Menge an Licht aufzusaugen (dies gilt jedoch weniger für niedrigempflindliche Filme [50 ASA oder weniger] oder Dia-Filme). Ein 100-ASA-Negativfilm besitzt jedoch einen hohen Belichtungsspielraum (ein 400er noch mehr). Und diesen Spielraum kann man ausnutzen, wenn man:
- bewusst „überbelichtet“ und
- im Anschluss dann zaghaft entwickelt, d. h. mit langsamer Agitation und kürzerer Zeit als eigentlich vorgegeben.
Und diese fotografische Technik nennt man eben Pullen – wenn man mag. Denn eigentlich ist so etwas fotografischer Usus gewesen, bis sich jemand so einen pfiffigen Begriff dafür ausgedacht hatte. Der Autor fertig seine Landschaftsfotografien immer nach diesem Prinzip an. Denn er weiß: Film hat einen hohen Kontrastumfang und liebt Licht. Man kann ihm viel davon geben (länger als vorgegeben belichten) und im Anschluss nicht zu lange entwickeln (kürzer als vorgegeben). Auch diese Technik ist nicht für alle Sujets geeignet, für solche Landschaftsfotografien durchaus.
Beim Pullen das ASA-Rädchen runter drehen
Wenn man diese Technik nun mit einer automatischen analogen Spiegelreflexkamera ausprobieren möchte, dann sollte man zunächst wieder am ISO-ASA-Einstellrad eine Korrektur vornehmen: Man stellt einen geringeren Wert ein als ihn eigentlich die feststehende Filmempfindlichkeit des eingelegten Filmes vorgibt. Man dreht jenes also in genau die andere Richtung, wie man es für das Pushen tun würde:
Wenn beispielsweise ein 100-ASA-Film in die Kamera eingelegt sein sollte, dann kann man die Einstellung auf „25 ASA“ einstellen. Dies bewirkt, dass der eingebaute Belichtungsmesser nun Belichtungszeiten vorschlagen würde, als wäre ein viel niedriger empfindlicher Film in die Kamera eingelegt: Es wird reichlicher belichtet.
Ein weiteres Beispielfoto zum Thema Pull: Der Film (ein Ilford FP4 Plus) wurde über Gebühr belichtet, anschließend jedoch eher gemächlich bzw. verkürzt entwickelt. Er dankt mit äußerst fein abgestuften Tonwertnuancen und einer herrlichen Luftperspektive (Darstellen des Dunstes in der Ferne).
Keine Angst vor Überbelichtung
Je reichhaltiger man nun belichtet, desto mehr riskiert man eine „Überbelichtung“. Sehen Sie: Das Wort „Überbelichtung“ wurde in Gänsefüßchen gesetzt. Denn eigentlich kommt so eine extreme Schwärzung auf dem Film nur dann vor, wenn die hellsten Motivelemente im Negativ blockieren: Wenn sie so hell aufgezeichnet werden, dass sie im Negativ eine solch extreme Dichte fabrizieren, dass keine Tonwertabstufung mehr möglich ist.
Und dafür muss das Motiv selbst äußerst kontrastreich sein (z. B. greller Sonnenschein auf weißen Schwan, während daneben auf den schwarzen Maulwurf im Loch gemessen wurde). Bei dem S/W-Beispielbild gab es aber keinen solchen Schwan, auf den noch ein einzelner Sonnenstrahl fiel: Der Motivkontrast befand sich noch gänzlich innerhalb des vom Film beherrschbaren Kontrastumfanges! Bei solchen Motiven kann man dem Film also durchaus viel Licht geben! Man muss selten Angst vor Überbelichtung haben! Voraussetzung natürlich: Man sollte den fotografischen Film im Anschluss nicht zu lange entwickeln oder gar pushen (übermäßig lange entwickeln)!
Hier wurde einem Farbfilm (Kodak Portra) ordentlich Licht gegeben. Es wurde bewusst „überbelichtet“. Man erreicht damit einen gewissen „Pastell-Look“ und: Zeichnung bis tief in die Schatten hinein. Es ist hierbei bei diffusem Licht nicht nötig, kürzer zu entwickeln (zu „pullen“). Wäre bei diesem Motiv jedoch das harsche Sonnenlicht ohne Bewölkung die Beleuchtung gewesen, wäre es angebrachter gewesen, den Film kürzer zu entwickeln, damit die hellen Bereiche nicht „blockieren“ bzw. weiterhin gut kopierbar („scanbar“) sind.
Ausgleichend entwickeln
Angenommen, sie haben nun einen Film großzügig belichtet. Sie haben diesem mehr Licht gegeben, als ihnen der Belichtungsmesser „angeordnet“ hat oder sie haben einfach den ISO-Wert zum Kalibrieren von diesem nach unten korrigiert.
Ungeeignet wäre nun eine maschinelle Rotationsentwicklung bei hoch konzentriertem Negativentwickler und bei zu langer Enwticklungszeit! Damit würden Sie zwar die Schatten gut heraus arbeiten. Doch Sie müssen nun pullen: also an den Lichtern „ziehen“, damit diese nicht über das Ziel (den kopierbaren Tonwertumfang) hinaus schießen! Sie müssen schonend entwickeln!
Beim Pullen sollte man also den Negativentwickler (bei S/W-Filmen) wenn möglich eher höher verdünnt ansetzen und die Agitation (Bewegung der Entwicklerdose) nicht zu häufig vornehmen.
Der Autor verwendet eine der höheren Standardverdünnungen (z. B. Xtol 1+1) und kippt nur jede volle Minute.
Verkürzen der Entwicklungszeit
Wenn z. B. ein 400-ASA-Film so belichtet wurde, als hätte er nur eine Empfindlichkeit von 100 ASA („Überbelichtung“), dann kommuniziert man dies gerne nach dem Schema „Belichtet wie 100 ASA“. Der Film sollte nun natürlich kürzer entwickelt werden:
- Bei einer verlängerten Entwicklung von einer Blende (z. B. statt 400 ASA wie 200 ASA belichtet) kann man die reguläre Entwicklungszeit mit dem Wert 1,3 dividieren.
- Bei einer verlängerten Belichtung von zwei Blenden (z. B. statt 400 ASA wie 100 ASA) kann man die reguläre Entwicklungszeit mit dem Wert 1,32 dividieren.
Ein Beispiel für das Pullen
Es befindet sich ein Ilford HP5+ in der Kamera. Dieser Film besitzt einen überdurchschnittlich hohen Belichtungsspielraum (wie alle „klassischen“ Filme der 400-ASA-Reihe). Man kann ihm also mehr Licht geben als es der Belichtungsmesser vorschlägt.
An der Kamera stellt man dann statt 400 ISO einfach 100 ISO ein. Dies bewirkt eine überdurchschnittlich lange (reichhaltige) Belichtung, denn der interne Belichtungsmesser denkt ja, es wäre ein weniger empfindlicher Film eingelegt! Man wird rein theoretisch eine um 2 Blenden reichhaltigere Belichtung bekommen (400 [0] / 200 [-1] / 100 [-2]).
Man kann dann sagen: Der Film wurde wie 100 ASA belichtet. Er muss nun beim Entwickeln jedoch um -2 Blenden gepullt werden, um die durch die verlängerte Belichtung zu sehr „angehobenen“ Lichter wieder nach unten zu ziehen.
Als Negativentwickler soll hier für den Ilford HP5+ Kodak D76 als Einmalentwickler im Ansatz 1+1 verwendet werden. Digitaltruth schlägt bei einer Temperatur von 20 °C eine Entwicklungszeit von 13 Minuten vor (wahrscheinlich bei einer Kippbewegung der Dose jede 30 Sekunden). Doch diese Zeit gilt natürlich für eine vorige reguläre Belichtung des Filmes. Hier wurde ja um 2 Blenden reichhaltiger belichtet.
Also muss man rechnen: 13 Minuten dividiert durch 1,32 = ca. 8 Minuten.
Innerhalb dieser verkürzten Entwicklungszeit werden die Lichter auf dem Film geschont. Sie lassen sich später (viel besser) kopieren. Alle anderen Tonwerte kommen auf ihre Dichte. Auch die Schatten werden bereits in dieser verkürzten Zeit korrekt ausentwickelt.
Man kann nun statt einer verkürzten Zeit auch die Verdünnung erhöhen oder eine Standentwicklung probieren. Ferner gibt es spezielle Zweibadentwickler, die ganz genau auf solche Negative zugeschnitten sind. Die oben genannten Verkürzungswerte (1,3 bzw. 1,32) sind lediglich Werte zur Orientierung. Für jede Film-Entwicklerkombination muss separat experimentiert werden.
Zusammenfassung
In diesem Artikel wurde beschrieben, wie Sie einen fotografischen Film bewusst unter- oder überbelichten- und wie Sie dies im Anschluss anhand der Filmentwicklung wieder kompensieren können. Beides kann seine Vorteile haben. Insbesondere das Pushen bietet sich bei manchen Motiven an (Street, Bühne*). Dies ergibt – z. B. bei einem Kodak Tri-X – den typischen Reportagelook.
Sollen jedoch analoge Fotografien nach konservativen Ansprüchen (hoher Tonwertreichtum, Zeichnung von den Schatten bis hin zu den Lichtern = Fullscale Print) angefertigt werden, dann bietet sich eher das Pullen an. Bei letzterem ist jedoch oftmals ein Stativ (aufgrund der längeren Belichtungszeiten) nötig und eine intensivere „Eintest-Phase“ der eigenen Film-Entwicklerkombination. Im Zweifel belichten und entwickeln Sie Ihren Film einfach nach den Herstellerangaben.
*Noch ein Hinweis bezüglich der Konzert- bzw. Bühnenfotografie: Hier wird sehr gerne ein 400-ASA-S/W-Film genommen und diesen auf 800 oder 1600 ASA gepusht. Das kommt oft gut und macht aus Musikern herbe Charaktere. Das Problem hierbei besteht jedoch nicht selten bei der Darstellung des Bühnenlichtes bzw. bei direkt von diesem beschienenen Gesichtspartien: Diese werden dann extrem nach oben „gepusht“ bzw. sind auf den S/W-Fotografien reinweiß bzw. „grell“ abgebildet. Daher empfiehlt es sich, bei solch einem Sujet einmal einen Zweibadentwickler wie z. B. den Moersch MZB auszuprobieren: Dieser deckelt die (durch verlängerte Entwicklung grellen) Lichter und die Bilder werden harmonischer aussehen.
Meistens sehen mir gepushte Bilder zu „liederlich“ aus, besonders bei Landschaftaufnahmen. Aber wenn etwas Helles dominiert (z. B. ein helles Gesicht), kann so etwas einen gewissen Effekt haben, wenn Dunkles daneben untergeht in Schwarz.