Ab wann kommt es bei einer Analogkamera zu Verwackelungen?
Ich hatte eine kleine Testreihe an Bildern aufgenommen mit kritischen Belichtungszeiten. Ich wollte nämlich wissen, ab welcher man tatsächlich ein Stativ benötigt und bei welcher Zeit man mit der Analogkamera noch aus der Hand fotografieren kann.
Um Fotografieren zu lernen, muss man grob zwei Dinge tun: Man lese sich die Bedienungsanleitung der Kamera durch und man studiere danach das Licht sowie auch die Bilder, die andere bereits vor einem angefertigt haben. Mit dieser Einleitung möchte ich aber nur auf einen Punkt zu sprechen kommen, den ich mir damals gleich gemerkt hatte, als ich die knappe Anleitung meiner ersten Analogkamera las: Ab einer Belichtungszeit länger als die 1/60 Sekunde muss man ein Stativ nutzen, ansonsten verwackeln die Bilder.
Diesen Hinweis halte ich mir seit über 25 Jahren stets griffbereit hinten im Denkkasten. Das ist auch nicht verkehrt so. Kürzlich hatte ich noch einige Zentimeter übrig auf dem Kleinbildfilm und ich wollte es genauer wissen:
Also hatte ich eine kleine Serie bei mir daheim auf dem Balkon angefertigt. Zum Fotografieren nutzte ich eine typische einäugige analoge Spiegelreflexkamera aus den 1970er Jahren im manuellen Modus:
Die »Canon AE-1« ist ein gutes Beispiel für eine typische Vertreterin der robusten Spiegelreflexkameras der 1970er Jahre, die heute immer noch sehr gut ihre Arbeit verrichten.
Für meine Testaufnahmen wählte ich dann je einfach eine längere / kürzere Belichtungszeit. Bei den längeren Zeiten musste ich aber die Blende weiter schließen, weil es ansonsten natürlich zur Überbelichtung gekommen wäre.
Meine Testaufnahmen
Dies ist mein Testmotiv:
Auf meinem Balkon platzierte ich ein Buch. Ich stellte mich etwas weiter weg und nahm aus der Hand und ohne Stativ einige Aufnahmen auf – mit je einer unterschiedlichen Belichtungszeit:
1/125 Sekunde
Den Film, den ich für die Aufnahmen nutzte, war – glaube ich – ein klassischer 400er: ein APX 400. Geh man so weit ins Motiv hinein, erscheint der Ausschnitt dann natürlich entsprechend grobkörnig. Dies ist so aber völlig normal.
Schade, dass ich nicht auch eine Aufnahme mit der 1/250 Sekunde aufgenommen hatte. Ich wette, die 1/125 verwackelt bereits ganz leicht. Aber bei dem, wie die Details hier erscheinen, möchte ich vom ›Standard‹ reden. Das Ergebnis überrascht nicht.
1/60 Sekunde
Für mich überraschender war aber die 1/60 Sekunde: Ich finde, die Details sind weiterhin befriedigend abgebildet. Von einem Verwackeln kann hier tatsächlich noch nicht die Rede sein. Auch bei meinem konservativen Anspruch erhalte ich bei der 1/60 Sekunde aus der Hand mit einer analogen Spiegelreflexkamera noch völlig brauchbare Fotografien.
1/30 Sekunde
Noch überraschter war ich bei der Auswertung dieses Bildausschnitts: Im Vergleich zu der 1/125 Sekunde sind nun natürlich bereits kleine Strukturen verwischt: Die Auflösung der Abbildung hat gelitten. Aber das Bild funktioniert noch. Es wirkt noch nicht fehlerhaft. Notiz an mich selber: Falls kein Stativ dabei ist, es durchaus auch mit der 1/30 Sekunde probieren – Dabei ruhig ausatmen, die Luft anhalten, die Kamera fest ans Gesicht pressen und auslösen.
Bei meinen Testaufnahmen hatte ich nicht mit so viel Bedacht gearbeitet. Sicherlich hatte ich Glück, dass hier die 1/30 Sekunde noch ein ansehnliches Ergebnis lieferte.
1/15 Sekunde
Aber hier wird es eindeutig problematisch: Mit der 1/15 Sekunde kann man mit einer Spiegelreflexkamera aus der Hand ohne Stativ nicht mehr gescheit fotografieren: Die Konturen verwischen dabei, das Foto ist eindeutig verwackelt.
Wenn ich weiß, dass ich bei einem Fotoprojekt in solch einen Belichtungszeiten-Bereich geraten werde, packe ich zumindest ein Einbeinstativ mit in die Umhängetasche mit ein.
Ein Einbeinstativ ist ein sehr kompaktes und leichtes Stativ, welches man bequem im Gepäck bei sich führen kann. Es ist dienlich, wenn man Zeiten wie die 1/60 bis ca. die 1/2 Sekunde noch ohne Verwackeln meistern möchte, ohne viel Gerät mit sich herum schleppen zu wollen.
Mit einem solchen Einbeinstativ ist dann die 1/15 Sekunde auch handhabbar und auch die 1/8:
1/8 Sekunde
Hier versagt dann auch die ruhigste Hand: Die 1/8 Sekunde ist selbst mit einer kompakten, spiegellosen Sucherkamera nicht mehr ohne Verwackeln beherrschbar. Das war aber auch klar. Das Foto dient nur zur Veranschaulichung. Mit meinem Einbeinstativ bekomme ich solche Belichtungszeiten allerdings in den Griff.
Tipps für das Fotografieren mit langen Belichtungszeiten
Bereits solch eine sportliche Körperhaltung kommt dem Fotografieren mit längeren Belichtungszeiten entgegen.
Abschließend sollen noch einige Hinweise und weitere eigene Erfahrungen in diesen Artikel einfließen:
Kleine Bildformate
Ich hatte vor einiger Zeit einen Artikel über das Fotografieren mit alten Boxkameras veröffentlicht. Bei diesen wirklich unergonomischen Kameras war es so gedacht, dass die Negative im Kontaktkopierverfahren auf Papier belichtet werden sollten: Die Bilder waren nie größer als 6×9 cm. Dabei beträgt die Verschlusszeit einer solchen Kamera auch nur 1/15 oder 1/30 Sekunde. Will sagen: Bei sehr kleinen Bildformaten sieht man es den Fotografien häufig nicht an, dass sie eigentlich verwackelt sind.
Typische Verwackelungsunschärfe / Bewegungsunschärfe bei einem historischen Foto, welches mit einer Boxkamera gemacht worden ist.
Bei der Gelegenheit: Natürlich funktionieren solche Bilder mit aussagekräftigen Motiven häufig dennoch. Eine leichte Unschärfe kann auch eine gewisse ›analoge Weichheit‹ erzeugen. Manchmal sind Bildfehler wie diese vielleicht sogar das sprichwörtliche Salz in der Suppe. Die oben abgebildete Fotografie mit den Jugendlichen im Schnee (aus einem Fundus alter Familienaufnahmen) schätze ich zumindest sehr – obwohl sie eigentlich technisch fehlerhaft ist.
Faustregel Belichtungszeit Brennweite
Durch einen Leserbeitrag in den Kommentaren ist es mir die alte Faustregel wieder eingefallen: Die längste Belichtungszeit, die man noch aus der Hand halten kann, entspricht ca. 1/Brennweite.
Wenn man beispielsweise ein Objektiv mit einer Brennweite von 80 mm an der Kamera nutzt, sollte man nicht mit einer Belichtungszeit länger als 1/80 Sekunde belichten. Da die meisten Analogkameras diese Zeit nicht bieten, wäre in diesem Fall die nächstschnellere relevant: 1/125 Sekunde.
Zumindest dürfte diese Faustregel im Kleinbild ungefähr funktionieren – wenn man nicht konservativ mit der Lupe Details begutachtet.
Sucherkameras anstatt Spiegelreflex
Für etwas längere Verschlusszeiten (Belichtungszeiten) sind (Mess-) Sucherkameras besser geeignet als Spiegelreflexkameras, da diese meist etwas ruhiger auslösen:
Eine meiner analogen Lieblingskameras ist die Agfa Selectronic.
Diese Analogkameras besitzen keinen Spiegel, was bereits Vibrationen vermindert. Viele dieser kleinen Geräte besitzen zudem einen sogenannten ›Zentralverschluss‹: Es gibt hier nur vorne am Objektiv einen ruhig und vibrationsarm ablaufenden kreisrunden Verschluss und nicht gar ein „zackiges“, schnellendes Tuch im Innern auf der Rückseite.
Außerdem sind Sucherkameras sehr leicht* und klein. Bei einigen dieser Kameras wurde extra darauf geachtet, dass das Auslösen lediglich durch eine leichte Druckbewegung auf den Auslöser vonstatten gehen kann.
* Wobei ich mir hier nicht sicher bin, ob gerade schwere Kameras nicht besser für längere Zeiten geeignet sind, da sie „behäbiger“ in der Hand liegen.
Halsriemen / Einbeinstativ und Lichtschacht
Ich hatte vor einiger Zeit auch über das Fotografieren mittels Lichtschacht geschrieben. Hierbei schaut man von oben auf eine Mattscheibe. Die Sache mit dem Einbeinstativ hatte ich etwas weiter oben ja bereits erwähnt.
Doch wenn man von oben das Motiv komponieren kann, kann man sich die Kamera auch mittels Riemen um den Hals hängen. Man ist dann selber sozusagen ein Zweibeinstativ und hält somit die 1/15 Sekunde sicher, wenn man beim Auslösen kurz die Luft anhält.
Bruststativ / Schulterstativ
Es gibt im Handel „Bruststative“ bzw. „Schulterstative“. Diese sind eigentlich ideal: Man hängt sie sich um den Hals / über die Schulter und ein Gegenpol drückt auf beispielsweise die Brust. Dadurch kann man auch von hinten durch das Okular schauen.
Allerdings sind diese offenbar für Videokameras gedacht und entsprechend groß und unhandlich. Ein kleines, faltbares System für die Kameratasche wäre hier sehr interessant.
Interessant auch wäre als Alternative ein nur sehr kurzes Einbeinstativ, welches man einfach auf der eigenen Gürtelschnalle abstellt.
Abstützen und Anlehnen
Aber bereits das Anlehnen des eigenen Körpers an eine Mauer oder an einen Baum bringt bereits Spannung und Stabilität in die Aufnahme. So etwas sollte man nicht unterschätzen, wenn man sich beim Fotografieren bei kritischen Belichtungszeiten unterhalb der 1/60 Sekunde befindet.
Bohnenkissen
Wenn man eine passende Ablagefläche (z. B. ein Autodach) hat, wäre auch ein Bohnenkissen / Kamerakissen empfehlenswert: Dies ist nichts weiter als ein Kissen, welches mit beispielsweise Bohnen oder Reis gefüllt ist bzw. mit Kunststoffkügelchen. Es passt sich der Kamera an, welche darauf genau ausgerichtet werden kann:
Abgebildet ist ein Kamerakissen, welches an das traditionelle japanische Sitzkissen – an ein sogenanntes »Zabuton« – erinnern soll. Dieses schöne Zubehör brachte mir einmal ein japanreisender Freund als Geschenk mit nach Europa.
Natürlich kann man hierfür auch einfach einen Zip-Beutel mit Inhalt befüllen. Man kann unterwegs auch einfach seine Jacke nehmen und diese entsprechend formen. Man benötigt halt nur eine entsprechend hohe Unterlage hierfür.
Tipp: Einen Drahtauslöser, wie hier abgebildet, benötigt man nicht unbedingt zum verwackelungsfreien Auslösen, wenn die Kamera einen Selbstauslöser besitzt.
Schnurstativ
Das Schnurstativ ist das kleinste Stativ der Welt. Es besteht aus nur einem Bindfaden, den man sich um den Schuh schnürt, ihn strafft und oben mittels Schraube an die Kamera schraubt:
Durch das Ziehen nach oben und den Stopp durch die Schnur, ist die Kamera immerhin in eine Richtung fixiert. So ein Schnurstativ kann man sich leicht selber bauen. Die Höhe variiert man, indem man die Schnur ggf. mehrmals um den Fuß wickelt. Man könnte die Schnur auch von oben von z. B. einem Ast herabhängen lassen und auf diese Art straffen.
Fazit
Die Sache mit der 1/30 Sekunde hatte mich überrascht. Ich wusste gar nicht, dass ich diese mit der SLR-Kamera noch so ruhig ohne Stativ auslösen kann. Aber dies kommt auch auf die Kamera an und auf die eigene körperliche Verfassung.
Für längere Zeiten gibt es einige Tricks und Helfer. Ein richtiges Dreibeinstativ ist natürlich immer die ideale Wahl – sofern man Platz dafür hat und es tragen möchte.
Hallo Thomas,
vielen Dank für diesen Beitrag. Ich denke, es sollte bereits bei der Beschreibung der Testreihe oder der ersten Faustregel von 1/60 sec erwähnt werden, dass bei der KB-Kamera ein 50mm-Objektiv gewählt wurde.
Selbst die Gültigkeit der Faustregel Kehrwert der Brennweite hängt doch stark vom Individuum, dessen Tagesform, der Kamera (Verschlusstyp, Konstruktion des Verschlusses, Masse der Kamera und des Objektivs sowie deren Verteilung, Leichtgängigkeit des Auslöseknopfes) etc. ab.
Daher denke, dass jeder für seine Konfiguration(en) seine eigenen Testreihen durchführen muss. Und dabei hilft sicherlich Dein Testaufbau als Inspiration.
Schöne Grüße,
Erik
Hallo Erik, danke für den Kommentar.
Hallo Thomas,
ich finde den Ansatz Deines Artikels interessant. Leider geht er nicht ins Detail.
Vorangestellt möchte ich – Dir sicherlich bekannt – die alte Faustregel (für Kleinbild) erwähnen, dass als längste noch einigermaßen sichere Verschlusszeit, welche man aus der Hand halten kann, einfach der Kehrwert der Brennweite angesehen werden kann.
Das bedeutet, dass man mit der Normalbrennweite (KB) nicht länger als mit 1/60 s belichten soll. Mit einem Teleobjektiv von 200 mm nicht länger als 1/250 s.
Die Faustregel klappt bei kleineren Abzügen recht gut. Für große Abzüge ist sie mit Vorsicht zu verwenden.
Natürlich habe auch ich Deinen Test schon vor Jahrzehnten einmal gemacht; wer nicht? Ich hatte ihn damals aber anders aufgezogen. Als Vergleich diente mir als Referenz ein Muster vom Stativ. Das vermisse ich bei Dir.
Als Ergebnis konnte ich recht klar herausarbeiten, dass alles was länger als 1/250 s aus der Hand (mit dem Normalobjektiv) aufgenommen wurde im Grunde unscharf wurde.
Vor einigen Jahren wiederholte ich den Test mit der Digitalkamera. Das Ergebnis war, dass sogar die 1/250 s teils unscharfe Resultate lieferte.
Die Frage welche sich stellt ist, bis zu welchem Umfang möchte man für sich unscharfe Fotos noch akzeptieren. Du sagst für Dich 1/30 s. Andere entscheiden sich anders. Mein persönliches Fazit ist, dass ich ungern bei Landschaftsaufnahmen länger als 1/250 s aus der Hand belichte. Bei Portraits bin ich großzügiger: dann gehe ich bis 1/60 s.
Vorschlag: ergänze bitte den Beitrag um einen Vergleich mit einer Stativaufnahme auf niedrig empfindlichen Film. Dann wird sehr deutlich wie sich die verschiedenen Verschlusszeiten auswirken; auch im Zusammenhang mit unterschiedlichen Brennweiten.
Viele Grüße – die Müllerin
Hallo Frau Müller, danke für den Kommentar – Ich habe schon fast darauf gewartet ^
Derzeit sichte ich meine Unterlagen / Probeaufnahmen und dieser Artikel war zunächst gar nicht geplant bzw. mir kam die Idee dazu erst durch die bereits vorhandenen Testaufnahmen. Leider hatte ich keine Referenz mit dem Stativ gemacht, da ich eigentlich nur wissen wollte, ob ich die 1/30 S. noch halten kann.
Danke für den Tipp mit der Brennweiten-Faustregel. Daran hatte ich beim Schreiben gar nicht gedacht. Ich ergänze den Beitrag entsprechend.
Viele Grüße zurück!
Hallo Thomas.
Vielen Dank für den interssanten Bericht. Ausgefeilte Techniken – auch in alten Kameras – ermöglichen uns, im Zusammenhang mit guten Optiken, scharfe und „richtig“ fotografierte Bilder zu erstellen. Aber muss es immer scharf und unverwackelt sein? Wenn ich mir das oben gezeigte Bild aus der Box ansehe, dann lebt das Bild geradezu von einer gewissen Verwckelungsunschärfe. Da ist einfach Leben drin. Aus diesem Grund mag ich auch die Streetfotografie, die nicht so perfekt ist.
Bei statischen Motiven sieht das natürlich etwas anders aus, obwohl es auch in diesem Bereich konträre Bildbeispiele gibt. Ich gehe jetzt nicht so oft fotografieren und wenn, dann meist mit meiner Rolleflex 3B und einem leichten Carbonstativ, nebst einem Handbelichtungsmesser.
Schönen Gruß
Günter
Hallo Günter, ja die Sache mit der Bewegungsunschärfe / Verwackelungsunschärfe sehe ich auch so: Manche Motive macht sie sogar interessant.
Meiner Meinung nach ist 1/60s die unterste Grenze für aus der Hand fotografieren. Schade, dass Image Stabilisierung erst später erfunden wurde.
1/60s + Stabilisierung, das gibt noch mal eine oder 2 Stufen Sicherheit. Mit 1/125 müsste das Ergebnis fast wie vom Stativ sein. Beim Auslösen muss man darauf achten, dass man während des Auslösens nur den Zeigefinger bewegt und die Kamera nicht verreist, ähnlich wie beim Schießen. Wer auf 100 % sicher gehen will, muss ein Stativ verwenden, mit Spiegelvorauslösung verwenden und Kabel oder Drahtauslöser auslösen. Falls das Objektiv eine Stabilisierung hat, muss sie ausgeschaltet werden, damit sie nicht anfängt etwas zu korrigieren, das nicht vorfanden ist.