Das Graustufenlineal
In diesem Artikel soll es um das sogenannte „Graustufenlineal“ für den Positivprozess im S/W-Labor gehen. Mit diesem einfachen Hilfsmittel lässt sich zum einen Zeit bzw. Austesterei sparen. Zum anderen erlangt man hiermit ein gutes Gefühl über die Schwärzungscharakteristik seines S/W-Fotopapiers.
Was ist das Graustufenlineal und wofür ist es gut?
Bei dem Graustufenlineal handelt es sich schlicht um eine aneinander gereihte Kette von unterschiedlich diffus belichteten Stückchen Fotopapier.
Das Graustufenlineal wird uns ein wichtiges Hilfsmittel sein, um mit diesem später anhand eines Bildes bzw. anhand dessen Probestreifen bequem ablesen zu können, um wie viel Zeit wir eine Belichtung in etwa verkürzen oder verlängern müssen (insbesondere die Belichtung nur eines bestimmten Bildbereiches). Denn natürlich habe ich die einzelnen Elemente meines Lineal nicht willkürlich belichtet – sondern nach einem ganz bestimmten Schema in Blendenstufen. Und genau nach einem solchen Schema sollte man später auch beim Anfertigen von Probestreifen oder beim Abwedeln und Nachbelichten arbeiten, wenn es heißt, bei diesen Prozessen die richtigen Belichtungszeiten für das Papier zu ermitteln.
Ich habe also schon die beiden Bereiche hervor gehoben, bei welchen uns das Graustufenlineal gute Dienste leisten kann. Es beantwortet uns folgende Frage:
Das Graustufenlineal in der Praxis
Dies ist ein Scan des Graustufenlineals für Gradation 3 für mein Papier „Fomabrom Variant“ in Adotol W 1+9 in Drittel-Blendenstufen:
Was passiert hier?
In der Mitte befindet sich das Feld für ein ca. 18%iges Grau – markiert mit „Ⅴ„. Dieses „Neutralgrau*“ taucht immer wieder in der Fotografie auf und auch hier soll es Dreh- und Angelpunkt sein, da es sozusagen genau die Mitte zwischen dem tiefsten Schwarz und dem Papierweiß darstellt.
*“Neutral“ ist ein Grau im S/W-Prozess natürlich immer, da es hier freilich keine Farben bzw. entsprechende Farbstiche gibt. Ich bleibe des allgemeinen Gebrauchs wegen bei dieser Bezeichnung.
Der Punkt Ⅵ hat genau die Hälfte der Belichtungszeit erfahren wie Punkt Ⅴ. Er ist also „eine Blende“ weniger belichtet worden bzw. um genau die Hälfte der vorangegangenen Belichtungszeit heller. Punkt Ⅶ hat genau die Hälfte Zeit von Ⅵ bzw. zwei Blenden weniger Licht (1/4 der Zeit) von unserem Referenzpunkt Ⅴ.
Es wird zum Verständnis dieses Artikels vorausgesetzt, dass man das Fotografensprech versteht, dass man weiß, was z. B. „3 Blenden mehr Licht“ auf die Belichtungszeit bezogen bedeutet, wenn man nicht die Blende am Objektiv selbst ändert.
Wie wendet man das Graustufenlineal in der Praxis an?
Wir haben einen Teststreifen bei Gradation 3, auf welchem z.B. der Himmel zu hell ist und ungefähr dem Grau entspricht, welches auf dem Graustufenlineal mit Ⅶ gekennzeichnet ist. Wir möchten (und bleiben bei Gradation 3), dass dieser Himmel aber einen solchen Grauwert besitzt wie der von Punkt Ⅵ. Da Punkt Ⅶ von Punkt Ⅵ naturgemäß genau eine Blende auseinander liegt, müssen wir die erste Zeit des Himmels verdoppeln (oder eben die Blende um einen Schritt öffnen, aber so etwas macht man besser nicht, um nicht ins optische System einzugreifen). Soll der Himmel das Grau jedoch von Punkt Ⅴbekommen, so müssten wir ihn 4 Mal so lange belichten wie normal. Man geht immer von den vollen Punkten zum jeweils nächsten und verdoppelt die Zeit. Also: auf Ⅶ wurde der Himmel z. B. 10 Sekunden belichtet, für Ⅵ bräuchte er 20 Sekunden (10x2), für Ⅴ 40 Sekunden (10x2x2 oder einfach 20x2), für den Grauwert von Ⅳ schon 80 Sekunden (40x2). Bei 160 Sekunden (80x2)wäre er noch nicht ganz schwarz.
Mein Graustufenlineal für Gradation 3 ist recht fein abgestuft in 1/3 Blenden. Um von einem ganzen Punkt (z.B. von Ⅴ) auf den nächsten dunkleren ganzen Punkt (Ⅳ) zu gelangen, müssen wir – wir wissen es längst – die Zeit verdoppeln. Um auf den nächst helleren ganzen Punkt zu kommen, die Zeit halbieren.
Der Faktor bzw. Divisor für einen ganzen Blendenschritt lautet also immer 2. Der Faktor / Divisor für ⅓ Blende lautet 1,3. Der Faktor / Divisor für eine ⅔ Blende lautet 1,7.
Noch ein Beispiel
Die Schwärzung einer Jacke, bei welcher wir wissen, dass diese schwarz ist (bzw. auch im Bild wieder schwarz werden soll) entspricht auf dem ersten Probeschnipsel bei z. B. 8 Sekunden und Gradation 3 ungefähr jener Schwärzung von Punkt Ⅴ⅔ auf dem Lineal.
Dies ist noch zu hell und wir müssen länger belichten. Wir müssen auf die Schwärzung von mindestens Punkt Ⅲ kommen, da bei Gradation 3 (für welche dieses Lineal gilt) bei diesem Punkt gerade so noch Zeichnung zu sehen sein wird, bevor alles das maximale Schwarz annehmen wird.
Die Differenz zwischen Ⅴ⅔ und Ⅲ beträgt 2 ⅔ Blenden, um die wir die Belichtungszeit unseres zu hellen Teststreifens verlängern müssen. Zwei Blende länger würden 32 Sekunden (8 Sekunden Startzeit mal 2 [eine Blende“] mal 2 [eine weitere Blende“]) bedeuten. ⅔ Blenden von 8 entspräche eine Zeit von 4,7 (8:1,7), welche wir zu den 32 Sekunden hinzu addieren müssen.
Die Belichtungszeit, bei welcher die Jacke gerade so schwarz wird, entspräche (bei Gradation 3) also ca. 36,7 Sekunden. Natürlich muss dies mittels einem neuen Teststreifen geprüft werden. Aber wir haben Zeit und Papier gespart, da wir auf Teststreifen mit weit kürzeren Zeiten verzichten können.
Hätte die Jacke auf dem neuen Probestreifen mit der verlängerten Zeit nun das maximale Schwarz (mit der nötigen Zeichnung, versteht sich), aber die Lichter, die hellsten Bereiche des Bildes wären schon zu dunkel bzw. zu grau, so würden wir mit einer falschen Gradation belichten. Sie wäre zu weich. Wir müssten zu einer härteren Gradation greifen. Zum Beispiel mittels der Einfiltermethode oder mitttels der Zweifilter-Methode am Farbmischkopf, um bei gleichen Belichtungszeiten zu bleiben. Dummerweise gilt dann das Graustufenlineal für Gradation 3 nicht mehr genau. Für jede Gradation müsste man sich ein separates Lineal anfertigen:
Für jede Gradation wird ein eigenes Lineal benötigt
Jede Gradation hat eine andere Schwärzungscharakteristik (zumindest habe ich dies bei all meinen Multikontrastpapieren feststellen müssen)! Das bedeutet, dass wir für jede Gradation streng genommen ein entsprechendes Graustufenlineal anfertigen müssten. Ich habe mir nur drei angefertigt und zwar für Gradation 00, Gradation 3 und Gradation 5 – also für die beiden Extreme und für die mittlere Gradation 3.
Betrachten wir uns das Lineal für Gradation 00 und gehen von Punkt Ⅴ über eine Blende zu Punkt Ⅵ. Die Belichtungszeit für Punkt Ⅵ entsprach genau der Hälfte von der von Punkt Ⅴ. Der Grauwert ist etwas heller.
Nun betrachten wir uns Punkt Ⅴauf dem Graustufenlineal für Gradation 5. Er entspricht natürlich dem selben Grauwert (ca 18% Neutralgrau). ABER halbieren wir nun die Belichtungszeit bei Gradation 5, so erhalten wir beim nächsten Punkt Ⅵ einen wesentlich helleren Grauwert, als wie wir es bei der Halbierung der Belichtungszeit bei Gradation 0 hatten!
Das ist ja auch kein Wunder: Der Kontrastumfang eines Papieres von Gradation 5 ist ja sehr gering / der eines Papieres von Gradation 0 wiederum sehr hoch.
Verdoppeln wir die Belichtungszeit des Grauwerts Ⅴ bei Gradation 5, so erhalten wir fast schwarz. Verdoppeln wir die Zeit dieses Grauwerts bei Gradation 0, so erhalten wir lediglich ein etwas dunkleres Grau. Darum funktionieren übrigens auch Labor-Belichtungsmesser, die auf die hellsten Bildbereiche des Negativs bzw. auf die Schatten (oder auch auf die Lichter) messen, nie wirklich, da sie eigentlich für jede Gradation umgestellt werden müssten. Im eben verlinkten Artikel erkläre ich aber, wie man dennoch mittels einem Laborbelichtungsmesser exakte Ergebnisse erhält.
Die Gegenüberstellung der beiden Lineale in obiger Darstellung ist didaktisch etwas ungünstig, denn sie besitzen einen anderen Maßstab, da bei dem Lineal für Gradation 0 auf die Drittelblenden verzichtet wurde: es wäre sonst viel zu lang geworden – da es ja einen sehr großen Kontrastumfang besitzt. Der Belichtungsspielraum bei Gradation 00 (0) beträgt bei meinem Papier ganze 9 Blenden, wie man an meinem Lineal leicht ablesen kann.
Hier die Gegenüberstellung des Lineals von Gradation 3 und Gradation 5 im selben Maßstab mit Dirttelblenden:
Sie sehen: Bei einer Gradation-3-Filterung hat das Papier einen höheren Kopierumfang als bei einer Gradation-5-Filterung. Wie bereits erwähnt, reichen mir für meine Arbeit drei Lineale und zwar jene für die beiden Extremfilter 00 und 5 und eines für die Mitte: Gradation 3.
Warum sind die einzelnen Bereiche auf dem Lineal mit römischen Ziffern gekennzeichnet?
Das Prinzip des Graustufenlineals im Fotolabor ist dem klassischen Zonensystem entlehnt. Auch bei der Theorie des Zonensystems befindet sich das 18%ige Grau genau in der Mitte einer Grauwertskala und bei jeder Belichtungsänderung um jeweils eine Blende werden die „Zonen“ dunkler oder heller. Das Feld mit dem 18%igen Grau trägt traditionell die Bezeichnung Ⅴ und ich habe sie so übernommen. ABER beim Zonensystem hat jede römische Ziffer eine ganz bestimmte Grauwertzuordnung. Dies ist hier, beim Graustufenlineal für den Positivprozess, anders, da wir jeweils unterschiedliche Gradationen mit einem unterschiedlichen Kontrastumfang benutzen.
Nur die Ziffern bzw. die entsprechend zugeordneten Grauwerte der weichsten Gradation 00 entsprechen ungefähr denen des echten Zonensystems, welches auf S/W-Negativfilm zugeschnitten ist.
Es ist nicht nötig, die einzelnen Felder mit diesen römischen Ziffern zu betiteln. Da ich aber auch sonst mit dem Zonensystem arbeite, hilft mir dieses Schema zum Verständnis. Man könnte auch z. B. alle ganzen Felder (eine Blende Unterschied) mit größeren Kreisen bezeichnen und die ⅓-Felder mit einem kleinen Punkt; die ⅔-Felder mit zwei kleinen Punkten.
Anfertigen eines Graustufenlineals
Theoretisch müsste man für jede Papiersorte und für jeden Entwickler ein separates Graustufenlineal bauen. Aber ich denke, gewisse Toleranzen kann man hier zulassen. Auf einen finalen Probestreifen lässt sich letztendlich ohnehin nicht verzichten – egal, ob man nun Messgeräte oder so ein einfaches „Zonenlineal“ für das S/W-Labor besitzt.
Zum Anfertigen eines solchen Lineals benutzen wir unseren Vergrößerer, in welchem kein Negativ in die Bildbühne eingelegt ist und welcher mit angesetztem Objektiv diffus unscharf gestellt ist.
Nun finden wir zuerst unsere ungefähre „Zone Ⅴ“ mittels z. B. einer Belichtungstreppe. Ich hielt hierzu eine Graukarte bereit und verglich. Die Belichtungszeit für diesen mittleren Grauwert wird unsere Basis sein.
Von dieser Basis ausgehend fertigen wir einfach die nächsten Grauwerte an und zwar so, dass wir in den helleren Bereich – „Zonen“ Ⅵ – Ⅹ – die Belichtungszeit für eine ganze Blende jeweils halbieren, für ⅓ Blende durch 1,3; für ⅔ Blende durch 1,7 teilen. Analog dazu verhält es sich für die „Zonen“ Ⅳ-Ⅰ: hier multipliziert man den jeweils vorangegange Zeit mit den jeweiligen Faktoren.
Es ist hierbei darauf zu achten, dass das Lineal für Gradation 5 nur lediglich 4 „Zonen“ besitzt, dass hier also eine recht feine Abstufung nötig ist und dass keine Graustufen über bzw. unter Zone Ⅶ und Ⅳ nötig sein werden, da diese dann entweder alle völlig schwarz oder weiß sein werden.
Das Lineal für Gradation 00 wiederum besitzt fast einen solch hohen Kopierumfang wie ein S/W-Negativfilm. Hier genügen die vollen Blendenstufen – andernfalls würde das Lineal viel zu lang aber dafür mit äußerst feinen Abstufungen werden.
Beim Belichten der jeweiligen Papier-Stückchen variiert man die Lichtmenge mittels Zeit und Blende (und evtl. mittels Graufilter). Hier muss man sich – je nach Lichtleistung seines Vergrößerers – ein vernünftiges Prinzip ausdenken, dass man nicht bei zu langen oder zu kurzen Zeiten landet. Bei über drei Minuten setzt bei S/W-Papier auch ein Schwarzschildeffekt ein (bei meinem Fomabrom-Papier), der das logische Zeit-Graustufen-Verhältnis hinfällig macht. Belichtungszeiten unter 3 Sekunden sollten unbedingt vermieden werden, da hier die Auf- und Abglühzeit der Lampe kein präzises Arbeiten möglich macht. Die einzelnen Graustufen-Papierschnipsel sollte man nach dem Belichten von hinten beschriften, sonst kommt man schnell durcheinander. Die belichteten Papierteilchen sollten nun dem gleichen Entwicklungsprozess zugeführt werden wie die späteren Abzüge.
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Es ist beim partiellen Nachbelichten übrigens egal, mit welcher Gradation oder mit welchem Gradationsmix das Papier vorher (als Basisbelichtung) belichtet wurde! Man kann einfach mit dem Lineal für die entsprechende Gradation arbeiten, mittels welcher nachbelichtet werden soll. Dies erleichtert den Prozess sehr. Arbeitet man übrigens mit der Splitgrade-Technik, so werden die beiden Graustufenlineale 00 & 5 natürlich auch ideales Hilfsmittel für diese Methode sein.
Guten Abend Thomas,
ich wollte an dieser Stelle einfach mal DANKE sagen. Durch Zufall bin ich hier gelandet. Ich habe nach Antworten gesucht, die in KEINEM meiner unzähligen Bücher zur analogen Fotografie steht. Und genau HIER finde ich Antworten.
Vor allem schreibst Du verständlich – es ist nachvollziehbar und in der DUKA reproduzierbar.
Der Artikel zum Graustufenlineal ist genial! Ich hab mich schon immer gefragt, wie ich um Himmels willen auf einem Abzug verschiedene Gradiationen und Belichtungszeiten einsetzen kann ohne dabei einen Photopapier-Regenwald abzuholzen. 😉
Am Wochenende gehts in die DUKA zum Graustufenlineal erstellen. 🙂
Viele Grüsse aus der Schweiz
Susan
Hallo Thomas,
was ich meine sind zwischen 32 sek und 64 sek (eine Blende weiter)1/3 Blenden wie folgt: 32 – 41,6 – 54,4 – 64 sek.
Oder 8 sek plus 2/3 Blende = 13,6 sek.
13,6 sek + eine Blende (13,6) = 27,2 sek + nocheine Blende (27,4) = 54,4 sek.
Ich hoffe, ich habe jetzt nicht einen Knoten im Kopf.
Viele Grüße Ralf
Hallo Thomas,
ich habe mit viel Interesse deine Artikel gelesen und weit mehr gelernt als aus manchem teurem Buch. Vielen Dank für die viele Mühe, die du dir machst. Ich weiß, solche Seite entsteht nicht von selbst.
Aber vielleicht ist dir hier in diesem Artikel ein kleiner Rechenfehler unterlaufen. Das Beispiel mit 8 sek und 2 2/3 Blenden bitte nochmal prüfen. (bei mir sind es 54,4 sek).
Wenn du noch auf der Suche nach interessanten Themen bist, hier ein Vorschlag von mir, wo ich auch noch keine rechte Lösung außer probieren habe: Ermittlung von Schwarzschildverhalten ohne massive „Materialvernichtung“.
Also, wie schon gesagt – du hast da eine tolle Seite.
Viel Grüße aus der Altmark
Ralf
Hi Ralf, vielen Dank für das Lob! Du hast recht: Es gibt wenige gute Bücher, die wirklich ins Detail gehen.
Ich glaube, ich habe Tomaten auf den Augen: Ich kann keinen Rechenfehler feststellen.
Das Schwarzschildverhalten von meinem Fotopapier hatte ich auch schon überprüft. Beim Fomabrom setzt der Effekt, soweit ich mich erinnere, so bei ca. 1 Minute Belichtungszeit ein. Ich hatte damals kleine Testchnipsel nacheinander belichtet und sie mit dem Graustufenlineal verglichen. Ab einer Minute (Blende immer mehr zu bzw. Graufilter) verlor sich die typische Schwärzungscharakteristik.
Thomas