Lichtstärke 1:1.4: Portrait-Unschärfe wie im Mittelformat via Kleinbild möglich?
Für ein Fotoprojekt möchte ich Porträts mit geringer Schärfentiefe anfertigen. Dabei soll jedoch ein eher größerer Abstand zu den Porträtierten bestehen. Komme ich für diese Bildvorstellung am Mittelformat vorbei, wenn ich einfach ein besonders lichtstarkes 50mm 1:1.4 Objektiv an der Kleinbildkamera verwende?
Eine genügend geringe Schärfentiefe erreicht man mit solch einem lichtstarken Objektiv. Aber ich bin dennoch unzufrieden mit dieser Lösung.
Mich gefielen schon immer jene historische Fotografien von Menschengruppen, bei denen trotz einem größeren Abstand zu den Abgebildeten der Bildhintergrund in deutliche Unschärfe rückt. Idealerweise nutzt man für solch eine Bildvorstellung dann auch tatsächlich solch eine Plattenkamera bzw. Großformatkamera und ein möglichst lichtstarkes Objektiv. Einige Fotografen haben sich hierfür extra das »Aero Ektar« für teures Geld besorgt, um es an einer 4×5-Inch-Planfilmkamera für Porträts zu nutzen – hier eine Seite mit beeindruckenden Beispielfotografien.
Ich jedoch bin faul und geizig: Am liebsten würde ich nämlich solche analogen Porträtaufnahmen mit viel Unschärfe im Hintergrund und mit gleichzeitiger Nicht-Teleperspektive in Bezug zu meinen Porträtierten bequem im Kleinbild erhalten.
Technisch verhält es sich so: Je größer das Aufnahmeformat ist (also z. B. das Mittelformat 6×6 ist größer als das Kleinbildformat) desto besser lässt sich Hintergrundunschärfe realisieren – die Schärfentiefe ist bei größeren Aufnahmeformaten bei gleicher Blende geringer. Bei einem Smartphone mit äußerst kleinem Aufnahmeformat ist solch eine Hintergrundunschärfe oft nur mittels interner künstlicher Bildbearbeitung realisierbar.
Dafür jedoch ist es bei kleineren Aufnahmeformaten technisch leichter, besonders lichtstarke Objektive herzustellen. Und je größer die Blendenöffnung ist, desto geringer ist auch hier die Hintergrundunschärfe. Die Frage ist also, ob sich beides ausgleicht.
Erhalte ich im Kleinbild mit einem überdurchschnittlich lichtstarkem 1:1.4-Objektiv eine ebenso geringe Hintergrundunschärfe wie im 6×6-Mittelformat mit einem hier typisch lichtstarkem 1:2.8-Objektiv?
Meinem Test nach: in etwa, tatsächlich
Auf dieser Abbildung zu sehen meine alte 50 mm Normalbrennweite von Nikon, jedoch mit recht hoher Lichtstärke von 1:1.4. Es gibt zwar noch eine mit einer Lichtstärke von 1:1.2. Der Unterschied dürfte gering sein.
Ich hatte vor etwas längerer Zeit ein Porträt mit meiner 6×6-Mittelformatkamera angefertigt:
Genau von solchen Porträts mit geringer Hintergrundunschärfe und der dadurch erreichten »Plastizität« im Bild möchte ich in Zukunft mehr anfertigen. Fotografiert wurde hier bei Offenblende 2.8 des Zeiss Biometar 80 mm. Aber am liebsten würde ich die schwere und klobige Mittelformatkamera nicht dafür herum schleppen, sondern ich würde gerne für solche Bilder meine elegante Kleinbildkamera verwenden.
Diesen Sommer hatten wir das Foto nachgestellt – Dieses Mal jedoch mit meiner Spiegelreflex-Kleinbildkamera aus dem Stegreif und meinem 50mm-Objektiv – auch hier bei Offenblende, jedoch eben bei der hier möglichen hohen Lichtstärke von bereits 1:1.4 des alten Nikon Nikkor aus vermutlich den 1970er Jahren.
Wie man sieht, ist es im Kleinbild tatsächlich möglich, die geringe Hintergrundunschärfe des 6×6-Mittelformats (fast?) zu erreichen, wenn man im kleinen Format ein besonders lichtstarkes 1:1.4-Objektiv anstelle das 1:2.8-Objektiv im Mittelformat verwendet. Für zumindest mein Kamerasystem im Mittelformat gibt es kein lichtstärkeres Objektiv.
Ich möchte zunächst noch einige weitere Abbildungen mit meinem alten Nikkor 50 mm 1:1.4 bei völlig geöffneter Blende auf Kleinbildfilm zeigen:
Zwar erhält man bereits im Kleinbild (bzw. »Vollformat« bei Digitalkameras) mit einem besonders lichtstarken Objektiv mit einer Anfangsblende von 1:1,4 bei eben dieser Offenblende eine doch durchaus beeindruckende Hintergrundunschärfe – auch wenn recht viel Raum um eine so porträtierte Person gelassen wird, was bei mir Prämisse- und kaum durch ein Teleobjektiv durch seine Ferne bzw. seinem Tunnelblick möglich ist, da ja die Landschaft im Hintergrund und daneben auch eine Rolle bei solchen Porträts spielt.
Bei zumindest meinem über 40 Jahre alten Nikon Nikkor 50 mm 1:1.4 treten hier (bei ganz geöffneter Blende) jedoch folgende Probleme auf:
- Das Kontrastvermögen dieses Objektives ist bei voller Öffnung ernüchternd gering. Bei diffuser Beleuchtung (Wolken vor der Sonne) fällt dies besonders auf: Details werden matschig abgebildet. Es gibt keine zufriedenstellende Kantenschärfe. Das Objektiv löst bei dieser Einstellung sehr gering auf. Bei härter Beleuchtung (lediglich dünne Schleierwolken vor der Sonne bzw. bei frei stehender Sonne) fällt dieser Fehler nicht ganz so sehr auf, da hier bereits durch die harte Beleuchtung Kanten besser zur Geltung kommen.
- Es gibt zumindest bei meinem Objektiv (Nikkor nicht-Ai 50 mm 1:1.4) bei offener Blende eine deutliche Vignettierung, d. h. schattierte / dunklere Bildecken. Jedoch ist dieser „Fehler“ bei meiner Absicht bzw. bei meinen Bildvorstellungen von Personen, die eher im Mittelpunkt stehen, ein solcher gar nicht – im Gegenteil: Denn in der Dunkelkammer (oder am Computer) hätte ich die Randbereiche des Bildes eh nachbelichtet, um das Auge entsprechend zu lenken. Dies ist hier dann gar nicht mehr nötig. Dennoch ist dies, rein technisch betrachtet, natürlich ein Abbildungsfehler.
- Es ist bei einem solchen besonders lichtstarken Objektiv relativ schwierig, die Schärfe durch das Fokussieren genau zu treffen. Sicherlich verhält es sich hier bei modernen Autofokus-Objektiven anders. Ich schreibe in diesem Beitrag über ein „analoges“ 1:1.4-Objektiv aus den 1970er Jahren. Aber da der Kleinbildfilm 36 Aufnahmen bietet, empfiehlt es sich hier, gleich mehrere Aufnahmen bei leicht unterschiedlich gesetztem Fokus anzufertigen. Ich hatte jedenfalls so manche Aufnahmen, die einfach »daneben lagen«, da die Schärfentiefe bei gänzlich offener Blende hier wirklich sehr gering ist und bei dem kleinen Format (im Gegensatz zum Mittelformat) eine geringere Toleranz im Scharfstellen besteht.
- Und natürlich kommt man bei Blende 1:1.4 am Tage schnell an die Grenzen so mancher Kamera, wenn diese nur eine schnellste Belichtungszeit von 1/1000 Sekunde ermöglicht. Dies wäre bei einem Film mit einer Empfindlichkeit von 100 ASA gerade so noch schnell genug, wenn sich Wolken vor der Sonne befinden. Ist es heller, muss man einen Graufilter verwenden, wenn die Kamera keine besonders schnellen Verschlusszeiten (z. B. 1/4000 Sekunde) beherrscht. Ich nutze einen variablen Graufilter.
Es ist jedoch die geringe Detailauflösung bei gänzlich geöffneter Blende, die mich hier besonders stört, bzw. die nicht zufriedenstellende Fähigkeit, Kontraste differenziert darzustellen – sofern man nicht abblendet:
Bei diesem Detailausschnitt aus einem der anfangs gezeigten Beispielen sieht man sicherlich, was ich meine: Bei Offenblende hat mein altes, besonders lichtstarkes Nikkor-Objektiv eine Abbildungsqualität bald schon wie eine Lomo-Kamera. Bei diffusem Licht zeichnet das Objektiv bei Blende 1,4 sehr weich. Details verwischen, um Helles vor Dunklem gibt es eine leichte „Aura“. Für manche Porträtvorstellungen ist dies sicherlich wieder von Vorteil. Ein Weichzeichner-Filter muss nicht benutzt werden. Für meine sachlichen Portraitfotografien jedoch möchte ich einen genügenden Detailkontrast und auch, dass die Auflösung des Filmes (hier Ilford Delta 100) nicht durch das Objektiv bereits begrenzt wird und alles etwas zu luftig wirkt.
Etwas anders verhält es sich bei härterem / harten Licht – also beispielsweise bei direktem Sonnenlicht: Ein solches betont Kanten und der schwammigen Abbildungsqualität meines Objektives bei gänzlich geöffneter Blende wird dadurch etwas Einhalt geboten. Ich jedoch fotografiere solche Motive am liebsten bei diffusem Licht. Auch eine harte bzw. kontrastreiche Ausfilterung in der Dunkelkammer bzw. am Computer kann den Fehler etwas mildern, sofern dies dem jeweiligen Motiv zuträglich ist.
Ich hatte jüngst mit meinem alten Nikkor-nicht-Ai-1.4-Objektiv meine Blümlein auf dem Balkon bei Blende 1,4 fotografiert. Hier bin ich also recht dicht heran gegangen. Die Birke im Hintergrund ist als Baum gar nicht mehr zu erkennen: Die Schärfentiefe ist hier sehr gering, das »Bokeh« ohne störende Kringel.
Ein Detailausschnitt aus dem oberen Foto: Man sieht auch hier, dass so ein altes 1,4-Objektiv wie das meinige bei völlig geöffneter Blende doch durchaus weich, kontrastarm, geringauflösend abbildet. Manchen Motiven steht dies sogar.
Ich hatte meinen Testfilm auch, wie ich erst später bemerkte, mit dem falschen Entwickler entwickelt. D76 in der Stammlösung (also als Mehrfachentwickler) hatte ich bisher kaum genutzt. Ich wusste gar nicht, dass dieser in dieser Konzentration recht „kornlutschend“ arbeitet. Ich werde ihn in Zukunft wieder als verdünnten Einmalentwickler verwenden, da er dann etwas schärfer arbeitet.
Auf diesem Foto ist ein anderes dieser alten „analogen“ 50mm-Objektive mit einer Lichtstärke von 1:1.4 abgebildet: ein altes Asahi (Pentax) »Takumar« – noch mit M42-Anschluss. Ich vermute sehr, dass auch dieses bei offener Blende ähnlich kontrastarme und gering aufgelöste Bilder liefern würde wie mein Nikkor.
An dieser Stelle soll zum Vergleich auch noch ein solches Porträt im Mittelformat 6×6 bei offener Blende 2,8 gezeigt werden, nebst Bildausschnitt. Mein Zeiss Biometar 80 mm hat bei Offenblende, wie sicherlich alle Objektive, nicht die optimale Abbildungsqualität. Jedoch halte ich diesen Detailkontrast noch für völlig in Ordnung – jedenfalls nicht für so bedenklich wie bei meinem Kleinbild-Experiment mit dem 1:1.4-Objektiv.
Durch die Kommentare unter diesem Artikel gehen noch einige interessante Ansätze hervor. Sicherlich hatte bei der Konstruktion solcher lichtstarken Objektive für das Kleinbild niemand daran gedacht, dass diese für Porträts bei offener Blende und besonders unscharfem Hintergrund eingesetzt werden. Vielmehr soll es bei Situationen mit wenig Licht (Reportagen, Musikveranstaltung, …) möglich sein, überhaupt noch Bilder ohne zu Verwackeln anzufertigen. Dass diese nicht gestochen scharf sind, spielte dann keine Rolle mehr. Glücklicherweise wirkt hartes Bühnenlicht dabei dem „schwammigen“ Abbilden solcher Objektive bei offener Blende entgegen.
Für mich heißt dies für die Zukunft: Ich benutze die Blende 1,4 im Kleinbild möglichst nur bei eher hartem Licht, nicht bei diffusem (Wolken-) Licht. Ich werde von einer Szene gleich mehrere Aufnahmen, leicht anders fokussiert aufnehmen (weil das Fokussieren hier schwer fällt). Außerdem werde ich keinen S/W-Filmentwickler nutzen, welcher das fotografische Korn „glatt lutscht“ (kein D76 oder A49 in der Stammlösung).
Jedoch werde ich meine Portraitaufnahmen nach meinem Test des alten besonders lichtstarken 50 mm 1:1.4 Objektives wenn möglich nicht im Kleinbild aufnehmen. Das Mittelformat ist durch so eine Abkürzung nicht einzuholen. Vielleicht gibt es tauglichere, neuere Kleinbild- bzw. Vollformatobjektive mit der hohen Lichtstärke von 1:1,4. Aber so etwas kann ich mir dann nicht leisten.
Zudem: Ich habe festgestellt, dass das quadratische Format der 6×6-Kamera auch viel besser zu meinen Motiven passt als das rechteckige Querformat des Kleinbildes.
Hallo Thomas,
ich sehe Du hast den einen oder anderen meiner Gedankengänge in den Text integriert. Auch hast Du ein weiteres Foto hinzugefügt.
Dieses neue Bild in den Straßenschluchten von Leipzig (?) möchte ich zum Anlass nehmen meine Überlegungen weiter zu spinnen.
Ganz ehrlich, mir gefällt die Idee recht gut, aber Deine Umsetzungen nicht. Für meinen Geschmack sind die Hintergründe noch zu scharf. Da hilft auch das Mittelformat nichts. So ist das in meinen Augen weder Fisch noch Fleisch. Entweder musst Du den Abstand zum Motiv (Mensch) verkürzen, ein lichtstärkeres Objektiv wählen oder schlicht das Aufnahmeformat vergrößern. Eine längere Brennweite würde zwar den Hintergrund unschärfer machen aber auch die Perspektive ändern. Gerade das – so verstehe ich Dich – möchtest Du nicht.
Wie wäre es mit dieser Vorgehensweise: Du leihst Dir von Deinem Kumpel die Großformatkamera (mind. 18×24) mit einem Normalobjektiv. Dazu einige Planfilmkassetten und jetzt kommt’s – anstatt Film lädst Du die Dinger mit ordinärem Fotopapier. Das hat zum einen den Effekt dass die Sache bezahlbar bleibt und zum anderen kommst Du in den Genuss der niedrigen Empfindlichkeiten wie anno dazumal. Auch ist Fotopapier in Sachen spektrale Empfindlichkeit sehr stark begrenzt.
Das so belichtete Fotopapier entwickelst Du auf Sicht und kopierst die fertigen Negative einfach auf dem Flachbettscanner zu Positiven. Das sind quasi elektronische „Kontakte“.
Ich wette, so kannst Du die von Dir gewünschten weichen Hintergründe selbst mit dem Normalobjektiv bekommen. Eine andere Vorgehensweise wäre digitale Fotografie und die Hintergründe mit KI bearbeiten. Das wäre die deutlich elegantere Variante. Aber wer möchte schon einfache Umsetzungen wenn es auch schwierig und teuer geht?
Kleiner Hinweis: Blende 8 ergibt bei 18×24 eine äquivalente Blende von 1 im Kleinbild. Zur Not – die meisten guten Normalobjektive für das genannte Format haben Lichtstärke 5,6 (300 mm). Für „Kontakte“ sollte selbst die offene Blende nahe der Bildmitte ausreichend Qualität liefern.
Hallo Frau Müller, ja ich hatte Deine Gedanken zum Thema mit einfließen lassen, da für mich schlüssig.
Das noch nachträglich hinzu gefügte Foto war noch ein Test, da ich gerade wieder einen 120er Film in der Mittelformatkamera belichtete (was selten ist) und ich mir noch einmal die Unschärfe bei offener Blende mit dem 2.8er-Objektiv genauer ansehen wollte. Aber um solche Abbildungen in der Art geht es mir.
Hier war ich doch schon ziemlich weit entfernt von der Person, ca. 9 Meter müssten es gewesen sein. Was die Unschärfe im Unendlichen anbelangt, bin ich durchaus zufrieden mit dem Ergebnis. Aber (ich glaube, du schriebst es bereits) die Schärfe fällt nicht schnell genug ab bei diesem Format, beim Kleinbild sicher noch weniger. Sie reicht noch zu weit in den Bildhintergrund hinein.
Mit Großbild hantiere ich da aber nicht herum. So viel Geduld bringe ich hier nicht auf und die Porträtierten auch nicht. Dann kommt auch noch ein Auto vorbei usw. Ich denke jedoch auch, dass das Format 18×24 hier genau das Erwünschte bringt.