Fotografieren mit der Kiev 30: Spionagekamera oder Freizeitkamera?
Mir fiel jüngst eine sehr winzige analoge Kamera in die Hände: die Kiev 30 nebst ziemlich alten Filmrollen. In diesem Beitrag gibt es ein paar Fotos dieser sonderbaren Kamera und ich zeige einige Beispielbilder, die ich damit aufgenommen habe.
Das erste, was mir beim Anblick dieser ulkigen Minikamera einfiel, waren irgendwelche alten Ost-West-Agentengeschichten. »Diese Kiev 30 muss eine Spinonagekamera sein« dachte ich mir. Ich bin mir mittlerweile allerdings nicht sicher, ob sie nicht einfach nur als sehr kompakte „Immer-dabei-Kamera“ für Spaziergänger gedacht war.
Die Kiev 30 ist wirklich klein. So eine winzige analoge Kamera hatte ich noch nie benutzt. Sie passt problemlos in die Hosentasche. Die Kamera funktioniert völlig manuell ohne Automatiken. Auf dieser Abbildung sieht man an der Kamera zwei Rädchen: Belichtungszeit in drei Stufen sowie die Blendeneinstellung. Auf diesem Foto abgebildet ist auch die passende Tasche sowie drei alte S/W-Filme „Foto 65“ von Svema. Diese Filme sehen mit ihren kleinen Schächtelchen aus, als gehörten sie in einen Puppenkaufmannsladen.
Doch diese Filme sind tatsächlich echt: Sie sind einfach nur aufgerollt und 16 mm breit. Sie haben weder einen Kern noch eine eigene Patrone. Man kann also auch heute (Stand 2023) noch Filmmaterial für die Kiew 30 bekommen und zwar in Form von 16-mm-Filmspulen für analoge Filmkameras (Bewegtbildkameras). Foma bietet mit seinem Fomapan 100 so etwas u. a. im Format 16 mm noch an. Allerdings besitzt diese Meterware dann natürlich eine Perforation. Meine Original-Filme sind einfach nur in eine beschichtete Aluminiumfolie eingewickelt und dann in schwarzes Papier. Dieses Bonbon sollte man natürlich keinesfalls im Hellen öffnen.
Ein Foto, welches ich mit einem der alten Filme mit dieser 16-mm-Kamera aufgenommen hatte. Diese ca. 45 Jahre alten Filme sind natürlich komplett überlagert, wurden fragwürdig gelagert und weisen nach der Entwicklung einen starken Grauschleier auf. Das ist ja kein Problem: Passepartout macht Kunst im Nu.
Für diese »Spionagekamera« muss man zwingend die passende Filmkassette besitzen (die sich öffnen lässt), wenn man damit auch fotografieren möchte. Der Film wird an einem Ende in absoluter Dunkelheit auf einen (ebenfalls notwendigen) Spulenkern geklemmt. Dieser wird in die eine Kammer der Kassette gelegt. Das aufgerollte andere Ende des Filmes wird in die andere Kammer gelegt. Danach werden die beiden Deckel aufgesetzt, so dass die Kassette einigermaßen lichtdicht ist. Im Hellen wird diese dann in die Kamera gelegt und die Klappe geschlossen.
Auf dem oberen Foto sieht man oben auf der Kamera den Auslöser. Daneben ist das Drehrad zur Entfernungseinstellung. Darunter befindet sich das Objektiv (leichtes Tele). Der Sucher befindet sich bei der Kiev 30 im „Überstülpgehäuse“, welches zum Filmwechsel abgenommen werden kann. Zum Spannen und zum Filmtransport wird dieses Gehäuse etwas auseinander gezogen und danach wieder zusammen gesteckt.
Auf der Unterseite dieser analogen Mini-Kamera befindet sich das Bildzählwerk. Bis zu 25 Bilder kann man aufnehmen. Aber die Filme, die ich zur Verfügung hatte, waren kürzer. Ist die Kamera zusammen geschoben und nicht geöffnet, wie hier, sieht man nur eine Ziffer des Zählwerks (die Anzahl der bereits belichteten Aufnahmen).
Bildunterschrift: Mann in Badewanne mit Flasche Bier auf Milchstraße
Auf dieser Abbildung sieht man die Kiev 30 im Zustand der Aufnahmebereitschaft: Das Gehäuse ist leicht auseinander gezogen, der Verschluss ist also gespannt. Rechts sieht man einen Blitzanschluss: Aha! Der ist für die Sowjetspione gedacht, die den Mini-Blitz mit einer Hand schräg am Kabel hoch halten können, während die Kamera via straffer Schnur auf exakt 50 cm über dem eben aus einem Aktenschrank gezogenen Dokument gehalten wird. Diese 50 cm lassen sich am Rädchen der Entfernungseinstellung auch einstellen. Doch halt: Was soll so ein Agent auf seiner Mission denn mit diesen Sonne-Wolken-Segelboot-Symbolen auf der Rückseite der Kiev-Kamera anfangen?
Ich glaube, diese Kamera war zumindest gleichzeitig auch als sehr kompakte Urlaubs- und Freizeitkamera gedacht. Laut diesem Artikel basiere die Kiew 30 auf der japanische Minolta 16. Offenbar gab es ab den 1960er Jahren auf dem „zivilen“ Markt eine gewisse Nachfrage nach Kameras noch kleiner als die Kleinbildkameras. Aber so etwas wird man heute nur noch anhand alter Prospekte und Kataloge nachvollziehen- und einordnen können. Ich habe solche nicht und kann daher nur mutmaßen. Die erwähnte Drehscheibe dient übrigens als simpler Belichtungsmesser-Ersatz und funktioniert einfach nach dem Sonne-16-Prinzip.
Die originalen Filme meiner Spionagekamera hatten über die Jahrzehnte ganz schön gelitten: Es gibt starke Störungen der Emulsion, sie haben sehr an Empfindlichkeit eingebüßt (und ich hatte bereits zwei Blenden reichlicher belichtet), sie besitzen nach der Entwicklung einen starken Grauschleier. Das Filmkorn ist natürlich deutlich sichtbar.
Hier sieht man ein Stück Filmstreifen dieses längst abgelaufenen 16-mm-Film, auf dem ich mit der Kiev 30 fotografierte. Die Emulsion hat sich teilweise gelöst. Die meisten Aufnahmen sind leider nichts geworden. Aber ich bin froh, dass überhaupt etwas auf dem Film zu sehen ist, wenn auch nur sehr dünn abgebildet.
Wenn man zu der Kiew 30 auch noch die originale Filmpatrone nebst Spulenkern besitzt, kann man sich im Wechselsack oder in der Dunkelkammer 16-mm-Meterware zuschneiden und einlegen. Allerdings hat man dann immer noch Perforationslöcher oben bzw. unten im Bild, die ich bei meinen alten Svema-Filmen (Foto 65) nicht habe. Es gäbe ggf. auch die Möglichkeit, sich mit vielleicht einem Zigarrenschneider einen Mittelformat-Rollfilm in entsprechende Streifen zu schneiden und diese einzulegen.
Deine Kamera war vor 60 Jahren exakt im Trend der Neuentwicklungen. Auf keinen Fall eine Spionagekamera. Eher das Gegenteil. Eine Freizeitkamera die man herzeigen und mitnehmen wollte.
Aus Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Kleinstbildkamera):
„In den frühen 1960er-Jahren kamen mehrere Kameras für den 16-mm-Schmalfilm auf den Markt. Dieses Format fand allerdings keine große Verbreitung und geriet mit dem Erscheinen des Pocketfilms wieder in Vergessenheit. Dies lag daran, dass Kodak keine Filmpatronen dafür anbieten wollte. So musste Rollei für seine Rollei 16 selbst Filme konfektionieren und vertreiben. Eine weitere bekannte deutsche Kamera ist die Edixa 16, sie verwendete die gleichen Patronen nach der DIN-Norm 19022. Beide Kameras belichteten das Format 12 mm × 16 mm. Ursprünglich fand auch doppelseitig perforierter Film Verwendung, der selbst konfektioniert, also von einer Schmalfilmkameraspule gewickelt werden musste. Minolta führte 1970 eine fertig konfektionierte Kassette mit 16-mm-Film ein, die ebenfalls das Aufnahmeformat 12 × 16 mm verwendete.“
Ach ja, auch von Minolta gab es eine Minolta 16 in mehreren Versionen.
Vielen Dank für die Ergänzung!